Die Statistiker haben in den letzten Monaten wiederholt aufgezeigt, in welche Richtung sich die Bevölkerung der Stadt Zürich entwickelt. In der Medienmitteilung der Stadt Zürich war unter dem Titel «Stark gestiegener Bildungsstand der Stadtzürcher Wohnbevölkerung» zu lesen, dass im Flaggschiff der links regierten Deutschschweizer Städte immer mehr gut bis sehr gut ausgebildete Menschen mit höheren bis sehr hohen Einkommen leben. Das von der Abteilung Stadtentwicklung publizierte Resümee der Bevölkerungsbefragungen 2001–2015 deutet in dieselbe Richtung. Vergleichszahlen mit anderen Schweizer Städten zum Bildungsniveau zeigen, dass dieser Wandel der Bevölkerungsstruktur die Stadt Zürich besonders stark getroffen hat.
Aggressive Standortförderung und gesunde Finanzen
Seit dem programmatischen Wechsel von Hochbauvorsteherin Ursula Koch zum späteren Stadtpräsidenten Elmar Ledergerber im Jahr 1998 betreibt die Stadt Zürich eine aggressive Standortpolitik. Man profitiert dabei vom nahe gelegenen Flughafen, dem Steuersitz der drei grössten Schweizer Banken und den im internationalen Vergleich sehr tiefen Steuern. Um dem Strukturwandel Speed zu verleihen, öffnete Elmar Ledergerber zu Beginn seiner Amtszeit die Industriezonen für das in die Immobilien drängende Kapital. Zürich West ist Mahnmal dieses Fehlentscheids.
Finanziell erfreut sich die Stadt Zürich bester Gesundheit. Finanz- und Frankenkrise sind weggesteckt. Der Ertrag bei juristischen Personen hat das Allzeithoch des Jahres 2005 wieder erreicht. Erfreuen kann sich der städtische Säckelmeister auch an der Veränderung der Bevölkerungsstruktur: Seit 2005 hat die Zahl der steuerpflichtigen natürlichen Personen mit mittleren Einkommen (bis 150’000 CHF, rund 25%) und hohem Einkommen (bis 500’000 CHF, rund 50%) stark zugenommen. Das ist in den umliegenden Kommunen nicht der Fall.
Abkoppelung mit Folgen
Die Abkoppelung der soziodemografischen und ertragstechnischen Entwicklung der Stadt Zürich von ihrem Umfeld hat Folgen. Weniger verdienende Menschen ziehen in die Agglomeration. Die Stadt kann sich leisten, wovon der restliche Kanton nur träumt. Gemeinsame demokratische Prozesse zwischen den beiden werden erschwert. Was schmerzhafte Folgen hat, wie die kantonalen Blockaden im Hinblick auf eine vernünftige Verkehrspolitik oder die Förderung von preisgünstigem Wohnbau in der Raumplanung zeigen.
Wer daran etwas ändern will, sollte die vor einiger Zeit von der AL Limmattal lancierte Diskussion um eine neue Stadterweiterung aufgreifen. Zumindest in den nicht als Steuerparadiese geltenden Kommunen des Limmattals würden die Menschen von einer Eingemeindung profitieren. Soll Zürich von der Insel der Glückseligen zu einem Zukunftslabor für inklusive Stadtpolitik werden, braucht es aber noch viel mehr. Mehr Ausnutzung für Grundeigentümer darf es nur noch geben, wenn sie sich verpflichten, preisgünstigen Wohnraum zu bewahren und Haushalte zu schützen, die bei einer Kündigung aus der Stadt wegziehen müssten. Zudem sollte die Gemeinwesenarbeit ihren Fokus konsequent auf Gebiete ausrichten, denen Verdrängungsprozesse bevorstehen. Die Karte dieser Gebiete liegt in der Abteilung «Gesellschaft und Raum» der Stadtentwicklung bereit.
Walter Angst, AL-Gemeinderat
Artikel in leicht geänderter Version erschienen im P.S. vom 21. April 2017
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